Kieler Woche 2013

Bufflehead auf der Kieler Förde Fast hätte ich es vergessen.

Vor der Fahrt in den Norden hatte mir Carmen einen kleinen silbernen Gecko an einem Lederriemen um den Hals gebunden. "Komm auch gut wieder", hatte sie gesagt.

Und so lagen Horst und ich am letzten Samstagmorgen im Juni beigedreht vor dem Leuchtturm Friedrichsort und starrten in den Nebel. In der Woche davor hatten wir unsere Boote auf der offenen Förde getestet. Der Wind war die ganze Woche lang stark gewesen, die Förde oft weiss. Wenn der Wind seine Böenfinger ausstreckte und Horsts kleinen Trimaran in die Fänge nahme, war Horst mehr mit seinen Nerven beschäftigt als mit seinem Fortkommen und musste aufpassen, dass er die Elbseglermütze auf dem Kopf behielt.

Der Nebel verdichtete sich auf dem Segel zu Tropfen, rann hinunter, lief am Unterliek ab. Es wehte ein schwacher West. Ich behielt den Verkehr an der Fahrwassertonne im Auge und beobachtete, wie sich Segeltürme langsam aus dem grauen Dunst lösten und auf mich zudrifteten, die Schiffe der Windjammerparade, übriggebliebene Relikte eines vergangenen Zeitalters.

Windjammerparade der Kieler Förde Einige hatten wir schon im Hafen gesehen. Mehrere waren offen zur Besichtigung, für Ausflüge auf die Förde. Aber die Innenstadt mit Buden und Bühnen hatte wesentlich mehr Besucher angezogen, die bis spät in die Nacht betrunken und glücklich durch die Strassen gezogen waren. Ein Wakeboarder, der im engen Bootshafen an einer Seilbahn Kreise zog und Sprünge über eine Rampe absolvierte, hatte viel Publikum bekommen. Das Bier dort war billig gewesen.

Trotz Neoprenanzug war es kühl. Eine Galeone schob ihren unförmigen, taunassen Rumpf langsam nach vorn, Masten und Rahen wie Kreuze. Manche sagen, dass die alten Windjammer eine Seele haben. Ich ging durch den Wind, nahm Fahrt auf, hörte die Wellen am Rumpf entlang plätschern. Da war noch ein Geräusch:

Windjammerparade der Kieler Förde Wir lagen unter dem Kreuz des Südens. Wir haben die fernen Küsten gesehen. Unsere Decks sind sonnengebleicht, vom Salz zerfressen. Oft hat der Wind unsere Takelage gezaust und unsere Segel zerrissen.

Die ganze Woche hindurch hatte es Wettfahrten auf der Förde gegeben. Von der Galerie des Bülker Leuchtturms aus hatten wir gesehen, wie der Wind immer wieder in die Regattafelder hineingefahren war und die Boote nahezu flach aufs Wasser gedrückt hatte. Die Segler, authentisch salznass im Olympiahafen Schilksee vor die Kamera geholt berichteten übereinstimmend, der Wind sei sehr stark, böig und in der Richtung wechselhaft gewesen - schwierige Bedingungen, die sie mit Glück zu ihrem Vorteil hatten nutzen können. Keiner wollte die Regatten als grosses Rennen bezeichnen. Manche nannten es einen "Meilenstein". Die internationale Konkurrenz war nicht gekommen.

Eine Welle ging unter mir durch; ich steuerte sie aus. Der Nebel dämpfte alle Geräusche. Wer oder was hatte mit mir gesprochen?

Hör zu: Der Wind ist frei. Du kannst ihn nutzen, mit ihm überall hin segeln. Wenn du willst, kann er dich um den ganzen Planeten wirbeln.

Bufflehead und Windjammer auf der Kieler Förde Der Sponsor der Wettfahrten, ein europäischer Fahrzeugbauer, hatte publikumswirksam einen Moderator aus dem Promifernsehen auf einer kleinen Kielyacht über Bord gehen lassen und ihn anschliessend vor laufender Kamera über das Geheimnis seiner Anziehung auf Frauen befragt. Das war dann gut für eine Schlagzeile gewesen.

Es klarte etwas auf, und ich luvte näher an das Fahrwasser heran. Weit draussen sah ich die Rennjollen auf den Regattabahnen. Die modernen Klassen hatten transparente durchgelattete Foliensegel, bunte Gennaker und Trapezstangen aussenbords, fotogen und mit hohem Unterhaltungswert.

Langsam zog die Windjammerparade an mir vorbei. Auf einem Vollschiff wurden mehr Segel gesetzt, ich sah die Mannschaft auf den Rahen und an den Brassen arbeiten. Unwillkürlich zog ich an der Schot und setzte Kurs auf die geisterhafte Armada. Unsere Boote folgen den Gesetzen der Aero- und der Hydrodynamik, entwickelt und erprobt im Wechselspiel zwischen Wind und Wellen, ausgerüstet mit Sachverstand und Seemannschaft. Daran hatte sich nichts geändert. Die alten Kähne waren Wegbereiter aus einer gemeinsamen Vergangenheit, Teil einer langen Tradition, die noch nicht vorüber war.

Windjammerprade auf der Kieler Förde Ich nahm Fahrt auf und hielt Kurs, um mit der Flotte hinaus zum Kieler Leuchtturm zu segeln. Die Wellen trommelten am Rumpf entlang, wurden von meinem Bug platschend beiseite geworfen. In dem leichten Wind war ich ebenso schnell wie die Windjammer. Ich fand die Digitalkamera im Cockpit und suchte nach einem Bild, um dies einzufangen. Manche dieser Rahsegler waren durch einen glücklichen Zufall übriggeblieben, andere durch das Können ihrer Besatzung - und jetzt fuhr ich mit ihnen.

Plötzlich neigte sich mein kleines Boot stark im Wind. Ich liess die Schot sofort fahren. Das Segel flatterte heftig, liess den Mast zittern. Ich war mit der Kamera beschäftigt gewesen; hatte die Regenbö nicht kommen sehen. Das Wasser war stahlgrau geworden, mit weissen Gischtkämmen, vom Wind flach gedrückt und verweht. Schaum spritzte über das Deck.
Ich hatte das Segel in einer halben Minute unten, brauchte eine weitere, um das Rigg im Boot zu verstauen und zu den Paddeln zu greifen. Es war jetzt wichtig, dass ich nicht in die Fahrrinne trieb. Am Horizont verschwand die Windjammerflotte in einer Regenflage. Ich verstand laut und deutlich, was mir die Stimme zu sagen hatte:

Früher waren wir unzählig viele. Wir sind übrigeblieben, weil wir Glück hatten und von erfahrenen Seeleuten gesteuert wurden, durch alle Stürme und Regengüsse hindurch. Hör zu: Wir haben viele umkommen sehen, weil sie unbedacht und leichtsinnig waren. Du kannst mutig und abenteuerlustig sein, aber sei klug und vorsichtig. Das musst du uns versprechen.

Windjammerparade auf der Kieler Förde Es war ein hartes Stück Arbeit bis zum Ufer. Als ich eine Stunde später im Strandcafé sass und die Hände an einem Becher heisser Schokolade wärmte, hatte ich die Sache schon fast vergessen. Die ersten Windjammer kamen zurück in die Förde, stumme Zeugen eines versunkenen Zeitalters. Himmel, wenn man von ihnen träumt und die Hölle, wenn man auf ihnen fährt.

Neben mir zerknüllte Horst seine Elbseglermütze zwischen den Fingern. Sie hatte einen Schirm aus blauem Filz, darüber zwei Schmuckkordeln.
"Guter böser Wind", sagte Horst in seinem weichen romanischen Akzent.
Am Strand nickte das Riedgras im leichten West. Der kleine Gecko kratzte an dem Lederbändsel auf meinem Hals.

Da fiel es mir wieder ein.

Haftungshinweis

Die Kieler Förde ist eine Großschifffahrtstrasse mit reglementiertem Berufssschiffahrtsverkehr. Die Regeln zur Vorfahrt und die Verkehrsbeschränkungen müssen unbedingt beachtet werden. Die Wasserflächen der Förde sind weit offen. Es können in kurzer Zeit Wind- und Wellenverhältnisse entstehen, die für kleine Boote gefährlich sind. Können, Erfahrung und Bootsmaterial sollten auf diese Bedingungen abgestimmt sein. Ich kann für Ihre eigenen Unternehmungen auf dem Wasser nicht haften!

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