Beale Boat Show - Teil 2
Am nächsten Morgen hing der Nebel über der Wiese, verwischte die Zaunpfähle zu bläulichen Schatten. Der Himmel über den taufeuchten Bäumen versprach Sonne und Wärme.
- Schau mal, absolut genial: sagte der Editor. - Ein Hobo-Kocher mit elektrischer Lüftung. Hast du sowas schon mal
gesehen?
- Ich hatte einen ohne Lüftung: sage ich. - Der machte vor allem weissen, beissenden Rauch.
Der Editor liess zwei brennende Esbitwürfel in den Kocher fallen, füllte mit Holzschnipseln auf und schaltete den
Lüfter an. Weisser beissender Rauch quoll heraus.
- Der Lüfter hat sogar eine Turbostufe: sagte der Editor, und drückte noch einmal auf den Knopf. Der Rauch wurde dichter
und hüllte uns ein. Ich musste husten.
- Ausserdem kann man sein Handy damit aufladen: sagte der Editor und steckte das Ladekabel ein. - Absolut clever, was?
Er stand auf und warf Handvoll Pillen mit dem Morgentee ein.
- Meine tägliche Dosis Schmerztöter: sagte er. Dann, nicht ohne Stolz: - Meine Krankheit ist ganz schön selten.
Lucy brachte schon wieder fleissig Sägen an den Mann.
- Sind die wirklich nützlich? fragte ein Kunde.
- Ja: sagte ich. - Damit kann man prima solche Segelkanus bauen. Ich hab immer eine auf der Werkbank, nehm sie bestimmt
alle zehn Minuten in die Hand.
Ich bekam einen anerkennden Blick von Lucy.
- Das ist eine moderne Interpretation des historischen Segelkanus: sagte der Editor zu einem Besucher. - Eine
echte Abenteuermaschine, absolut genial. Ein Sitz wie im Auto. Höhenverstellbar und Lehne voll verstellbar.
- Ich hab schon mal im Rollstuhl gesessen: sagte Lucy. - Hat mich total eingeschränkt. Aber dann hat mir der
Doktor zwei neue Knie gegeben. War ich glücklich, denn ich hatte meine Freiheit wieder. Und Bill hatte seine Frau wieder,
gell Bill?
Bill grinste und rechnete Zahlenkolonnen auf einer Liste zusammen.
Am Nachbarstand sprang nach einer halben Stunde Kurbeln, Fluchen und einem eingeklemmten Daumen eine Stuart
Turner-Maschine mit rumpelndem Tuckern an. Die Abgase zogen durch die umliegenden Stände, trieben aufs Wasser, lösten
sich vor der blauschwarz schweigenden Mauer des Waldes auf.
Ein Mann im Mechanikerkittel hob am Ufer einen grossen Holzkasten mit Glasdeckel aus einem Holzboot. Unter diesem Aquarium
war noch so ein Motor. Er brachte ihn auf ähnliche Weise in Gang und fuhr unter dem unregelmässigen Pochen seiner Maschine
Passagiere im Schneckentempo spazieren.
- Ich hab da noch so einen alten Land-Rover: sagte ich, aber niemand hörte zu.
Ein Windhauch fuhr durch das Röhricht am Seeufer. In der Mitte des Weihers begannen kleinen Rippel auf dem Wasser zu
glitzern, zu tanzen.
- Du bist wohl am Tagträumen, was? sagte Lucy.
- Ich stelle mir vor, wie's auf dem Wasser wär: sagte ich.
- Geh doch segeln: sagte Lucy.
- Das ist wohl die beste Idee, die ich heute gehört habe: sagte ich.
Ich spürte den Windhauch im Gesicht und zog an der Schot. Das Segel straffte sich, neigte das Boot und schob es vorwärts. Die Andeutung einer Bugwelle zerbrach das gespiegelte Segel im Wasser, verzerrte die gespiegelten Verkaufsstände zu dunkel flimmernden Schatten. Ich lehnte mich nach Luv, fing die Krängung des Bootes ab. Am Ufer stand ein Reiher und betrachtete nonchalant das Treiben auf der Wiese.
Als ich das Boot wieder auf den Sägeböcken hatte, strich Lucy erschöpft die Strähnen aus dem Gesicht.
- Uns geht's heute echt gut: sagte sie ehrfürchtig. - Gestern und heute, vierstellig. Wieviel Pläne hast du verkauft?
- Keinen: sagte ich. - Ich bin ja nur das Ausstellungsstück vom Editor.
- Schau, Bill hat mir um halb zehn einen Kaffee gebracht. Jetzt ist es halb eins, und ich hab noch keine Zeit gehabt,
mich zu setzen und was zu trinken. Meine Eisenknie bringen mich noch um.
- Süsser, was Schärferes hast du noch nie in der
Hand gehabt. Willst du mal probieren? sagte sie zu einem Kunden und hielt ihm eine Säge hin.
Der Editor erschien und wirkte total erledigt.
- Ich bin absolut leergequatscht: sagte er. - Hab mich die komplette Zeltreihe hoch- und runtergeredet.
Alle sind da, die Epoxyhersteller, die Holzlieferanten, die Bootszubehörleute. Die mögen dein Segelkanu, bringen wir
ganz gross raus. Hab auch jede Menge Anzeigen, hat sich absolut gelohnt. Machen wir mal ne Fotostrecke.
Hab eine wasserdichte Kamera dabei, die befestigen wir dann vorn am Bug.
- Na dann: sagte ich. - Geh ich nachmittags nochmal segeln, dann haben mich alle gesehn, die mich sehen wollen.
- Möchtest du noch etwas Teewasser? fragte Lucy. - Wir haben die Teebeutel vom Hotel mitgenommen, und etwas Milch
dazu. Bekommen auch immer jede Menge Werbematerial. Schau, hier hab ich noch ein T-Shirt, das dir super passt.
- Zwischendurch ist uns mal das Holz ausgegangen: sagte Bill. - Da haben wir dann einfach Kerben in dein Boot gesägt.
Er grinste und glättete Geldscheine zwischen seinen Fingern. - Die Sägen verkaufen wir erst ab achzehn Jahren, weil sie so scharf
sind: sagte er zu einem Kunden. - Mal probieren?
- Unser englischer Humor: sagte der Editor. - Kommt dir wohl ganz schön kindisch vor, was?
- Ach was: sagte ich. - Wenn die Dinge nicht albern sind, dann sind sie tragisch.
- Nee, keinen Stuhl: sagte Lucy zu mir. - Wenn ich mich jetzt setze, komm ich überhaupt nicht mehr hoch.
Nach so Tagen bin ich total kaputt, kannste glauben. Bin ich froh, dass ich's in zwei Stunden hinter mir hab.
Zum Feierabend sah ich den Mechaniker mit seinem Stuart-Turner Holzboot unter der Schwingbrücke in die Themse einbiegen. Jetzt hatte er einen modernen Aussenborder am Heck, drehte am Griff: die Bugwelle warf silbrige Spuren aufs Wasser; ein Boot ist ein Problem und ein Boot mit einem Stuart Turner-Motor sind zwei.
In der Abendsonne lag die niedergetrampelte Wiese leer. Nur der Faltbootverkäufer klopfte noch seine Bootsgerippe auseinander. So sind sie, die Faltbooter, immer auf Montage.
Dann ging ich den schmalen Pfad entlang an das stille Ufer der Themse. Der Abend war sonnig und warm. Ich setze mich ins lange Gras. Ein Habicht stand am Himmel. Die blauschwarze Mauer des Waldes spiegelte sich im Wasser. Ich sah zu, wie weisse wollige Weidensamen auf der Wasseroberfläche kleine Lichtpunkte setzten, langsam flussabwärts trieben. Irgendwann münden alle Flüsse ins Meer.
- Was hast du dann gedacht: fragst du.
- Hab ich vergessen: sage ich. - Wahrscheinlich sass ich lange Zeit einfach da und hab an gar nichts gedacht.
- Hm: sagst du.
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