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Mit dem Segelkanu rund um Elba - Teil 2
- Mit dem Segelkanu rund um Elba - Teil 1
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- Mit dem Segelkanu rund um Elba - Teil 3
Montag, 23.05.2011
NW 3-4, später W 2-3, dann N 4Ziemlich sonnig
Tagesetmal 37,5 km
Tagesdurchschnitt 5,5 km/h
Meine Freunde schütteln den Kopf wenn ich ihnen sage, dass ich im Kanu auch schlafe. Mit einer Zeltplane darüber wenn es regnet. Dabei ist es sehr bequem, geräumig und behaglich. Zum Frühstück koche ich Porridge. Es ist auf dem Campingkocher schnell zubereitet und mit Obst hält es ein paar Stunden vor.
Heute ist bestimmt der Tag für grosse Etmale! Das Wasser der Bucht liegt flaschengrün und träge in der Sonne, silbrige Fäden dazwischen. Wo ist der Wind? Tramontana, Maestrale, Librecchio, Scirocco... wenn man sie braucht, treiben sie sich anderswo rum. Also paddle ich zwei Stunden über die ölige See quer über die Bucht von Procchio, an Marciana Marina vorbei bis Capo S. Andrea. Ich bin ungeduldig. Ein Schnitt von 5,7 km/h, das ist für das breite vollbeladene Kanu nicht schlecht.
Hinter dem Kap treffe ich auf eine alte Dünung aus Südwest, die grollend an den Klippen
ausläuft. Ich ziehe das Segel hoch und der angekündigte Nordwest 3-4 erwischt mich direkt hinter
dem Leuchtturm. Sofort zischt das Boot mit mehr als Rumpfgeschwindigkeit nach Süden ab.
Mit dem Wind kommt auch eine eklige kurze Sekundärdünung aus Nordwest. Der Kurs wird zum
Schleuderkurs,
ich gurke hier rum wie ein Hemd im Schonwaschgang, und weder der Schweizer
Hochseescheinkurs noch die Tests auf dem Bodensee haben mich da drauf vorbereitet.
Die Böen zerren im Segel und das Boot geht durch wie ein Pferd vor der Eisenbahn,
flockigen Schaum auf den Seiten. Ein neues Spiel: Wellen überholen. Das Boot schießt
den Wellenkamm hinunter, bricht nach Lee aus. Nach Lee - nicht nach Luv wie es hätte
sein müssen. Das ist die Kreuzsee, Berg-und-Talbahn, die Hand am Steuerstock schon
total verkrampft. Wenn ich nicht aufpasse, dauert nicht mehr lange und ich liege im Bach oder
bleibe da draussen für immer. Zwei Reffs einbinden, aha, geht doch schon viel besser und
liegt weich auf dem Ruder. Das Segel ganz abschlagen? Ach was.
Da müsste es schon mörderisch wehen.
Leider habe ich beim Reffen den Masttopp, ein zugekauftes Teil, abgeschert. Er hängt
jetzt schief auf dem Mast, scheint aber fürs erste zu halten. Mit mißtrauischen Blicken
über die Schulter nach der nächsten Bö und dem Herz in der Hose geht es spritzig die felsige
Westküste entlang.
Ich fahre in Pomonte ans Ufer. Die Wellen brechen heftig auf den
steilen Strand und spülen die faustgroßen Kiesel weg,
das klingt wie auf der Kegelbahn und das Boot liegt nicht sicher. Also ab durch die Brandung
und weiter. Hinter dem Südwestkap verstecke ich mich vor den Böen und der Sekundärdünung.
Dafür bauen sich über dem Monte Capanne im Norden Gewitterwolken auf. Die Gewitterbö
erwischt mich unvermutet im Golfo di Campo direkt auf die Nase. Wie lange bleibt der
gebrochene Masttopp noch oben? Ich nehme Mast und Segel herunter und komme mit dem Doppelpaddel
gerade noch frontal gegen Wind und Wellen an. Als ich das Ende der Bucht erreiche, bin
ich naß und total fertig - aber glücklich, weil ich das große Schild "Camping" direkt
am Strand entdecke. Heute wurde aber auch wirklich alles geboten.
Also das hab ich noch nicht gesehn, und sehn tut man ja viel wenn man dreiundsiebzig ist. Hab ja eine gute Übersicht hier, patscht der Typ mit der Taucherhose salznaß hier rein mit seinen Taschen, rennt raus und kommt mit nem Holzboot auf der Schulter wieder, also der Hut... das ist bestimmt so ein irrer Holländer. Spannt der einfach zack sein schwarzes Piratensegel drüber und hockt auf seiner kleinen Tonne, ist das´n Rumfaß? das ist wohl der fliegende Holländer, the flying dutchman auf Urlaub von seiner verdammten Bark. Muß ich meiner Frau erzählen, Anne wo biste denn, ich glaub der Typ ist ohne Auto unterwegs und von weiss woher angespült, den frag ich mal ob der wirklich aus Holland ist
während ich vornübergebeugt sitze, den Masttopp in den Händen mit gerümpfter Nase betrachte und sinne über die Vorsicht, die gemeinhin Seemannschaft heisst und mich leiten sollte diesen und die kommenden Tage, nicht vereinbar mit der unsteten leichtfertigen Abenteuerlichkeit welche mich heute hier angetrieben hat. Bei dem Gedanken, den Törn zu Ende zu paddeln, wird mir übel. Ein höflicher älterer Herr spricht mich an. Ich zeige ihm den gebrochenen Masttopp, ein ultraleichtes Schaum-Carbonfaser-Laminat. Trocken fragt er: "Hast Du denn auch das richtige Werkzeug?" So lerne ich Gerd kennen, hilfsbereiter Ingenieur aus Recklinghausen.
Heute abend werde ich meine Konserven wegspachteln, damit das Boot leichter wird. Und ich nehme mir vor, wie Popeye der Seemann in Zukunft viel mehr Spinat zu essen.
Dienstag, 24.05.2011
Sonnig
Ein Reparaturtag. Den Masttopp habe ich schon mißtrauisch angeschaut, als er aus der Packung
kam. Jetzt ist die Zeit gekommen, ihn zu verbessern. In einem angestaubten Haushaltswarengeschäft
in Marina di Campo, einem idyllischen verträumten Urlaubsort finde ich
Zweikomponentenkleber, der rettet meinen Tag. Mit Gerds Hilfe und seinen Leatherman-Tool
fabrizieren wir aus einem Sperrholzbrettchen aus dem Müll ein 1a-Verbindungsstück für
die beiden gebrochenen Teile im Masttopp und kleben es ein. Der Rest des Tages geht mit
Postkarten schreiben und Schwimmen drauf. Abends begleite ich Gerd und seine Frau Anne
auf die Klippen, zu einem schönen Rundblick über die Bucht.
Von dort oben hört man das Glockenspiel aus Marina di Campo, jeden Abend um halb neun, am besten.
Für Anne ist es der wahre echte Höhepunkt des Tages, ehrlich
denn es sind die total kleinen Dinge im Leben, die das Glück ausmachen. Das kannst du mit Geld
gar nicht kaufen.
Die Aussicht von der Klippe hinunter ist bezaubernd. Ich sehe wie die Böen das Wasser riffeln,
als dunkle Schatten über die Bucht jagen. Morgen werde ich ihnen folgen.
"Setz doch noch mal den Hut auf, der hat was", sagt Gerd. "Tschuldigung wegen dem
Holländer. Aber Schweizer, ja, das passt noch viel besser."